Ein Gastbeitrag von B. Kramer vom Recherchekollektiv Dokumentieren Gegen Rechts
Wir befinden uns vor einem denkmalgeschützten Gebäude in der Neuen Bäue 23.

Dieses Gebäude, das heute so aussieht

war bis 1938 das Wohn- und Bankhaus von Moritz Herz und seiner Familie, Frau und zwei Kindern. Moritz Herz hatte das Bankhaus von seinem Vater Joseph übernommen, das Bankgeschäft musste er im März 1938 abmelden.
Drei Stolpersteine erinnern an den vermutlich in Treblinka ermordeten Moritz Herz und seine Tochter Lotte und seinen Sohn Werner Guido Josef.
Nach dem November-Pogrom 1938, bei dem auch das Bankhaus Herz geplündert wurde, wurde Moritz Herz für etwa fünf Wochen ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt, während die Nazis das Gebäude übernahmen.
So wurde daraus das sog. Gestapo-Haus mit einem Keller in dem Verfolgte inhaftiert, verhört und gefoltert wurden.
„Nach seiner Rückkehr aus dem KZ bemüht sich Moritz Herz monatelang verzweifelt um eine Auswanderung für seine beiden Kinder. Der Schriftverkehr mit den englischen Schulen und Hilfskomitees ist erhalten geblieben, und es ist erschütternd zu lesen, mit welcher Höflichkeit und Dringlichkeit Moritz Herz nach England schreibt, um für Werner eine Schule zu finden, die ihn aufnimmt. Im September 1939 erhält er dann die Auskunft, dass es weder für Lotte, deren Auswanderungsziel die USA war, noch für Werner eine Möglichkeit zur Auswanderung gibt.“ [1]
„Im Juni 1940 muss Familie Herz ihr Haus verlassen und zieht zwangsweise in die Wilhelmstr. 10. Die Gestapo hat sich das Haus Neuen Bäue 23 bereits vorher angeeignet und richtet im Keller des ehemaligen Bankhauses einen Folterkeller ein. Im November 1941 muss Familie Herz erneut umziehen, diesmal in die Frankfurter Str. 11 zu Familie Austerlitz, die dort eine Weinhandlung betrieben hatte.
Im Februar 1942 beginnt die Ghettoisierung der Gießener Juden: alle werden zwangsweise in sogenannte Judenhäuser umgesiedelt, die Familie Herz in die Walltorstr. 42.
Am 14. September 1942 werden Moritz Herz und seine beiden Kinder wie die anderen 150 noch in Gießen lebenden Juden von der Gestapo aus ihren Wohnungen geholt und in die Goetheschule an der Westanlage gebracht.
Zwei Tage später werden alle in einen Güterzug verladen. Der Zug mit den Gießener Juden steht eine Nacht auf dem Güterbahnhof und fährt dann nach Darmstadt. Nach etwa zwei Wochen wird Familie Herz mit 880 anderen Juden aus Hessen in das Vernichtungslager Treblinka transportiert.
Auf der Steuerkarte steht dafür: „verzogen am: 20.10.42 nach: unbekannt“. Nach 1945 wird auf diese Kartei eingetragen: „gestorben am 8.Mai 1945 Todeserklärung d. Amtsgerichts Gießen v. 27.9.1949“. (Stadtarchiv Gießen)“. [2]
Der Gießener Schriftsteller Georg Edward berichtete in seinem Tagebuch über einen Besuch bei Moritz Herz, nachdem dieser aus dem Konzentrationslager entlassen worden war:
„Besuchte den Bankier Herz, der kürzlich aus dem Konzentrationslager Buchenwald zurückgekehrt ist. Er erzählte, es sei ihm bei Todesstrafe verboten worden, darüber zu sprechen, aber was er durchgemacht habe, seit entsetzlich gewesen.
Man würde ihm auch nicht glauben, wenn er schildern wollte, was für brutale Bestien die Angestellten in den Konzentrationslagern seien. Nicht nur die Juden, auch alle anderen Häftlinge würden unmenschlich behandelt.
Eine Anzahl der am 10. November hingeschafften Juden sei wieder nach Hause geschickt worden, aber Tausende habe man zurückbehalten. Viele seien infolge der Misshandlungen gestorben. Alles ist entsetzlich und ich habe alle Achtung vor dem deutschen Volk verloren, das zu allen Untaten und Verbrechen stillgeschwiegen hat, die während der letzten fünf Jahre verübt worden sind. …
1939: 30. Juli (Sonntag) – Zum Diner bei Bankier Herz, angenehme und freundliche Stimmung unter Leuten, die jetzt auf Schritt und Tritt verfolgt werden … Bankier Herz erzählte von den Leuten, die er im Konzentrationslager zu ertragen hatte, wie man ihm drohte, ihn zu erschießen, wenn er sich weigere, die Kombination seines Tresors in der Bank zu verraten.
Die Tage, während derer er die Hinrichtung erwartete, seien das Schrecklichste gewesen, das er je durchgemacht habe.“ (in: Georg Edward 1869-1969. Dokumente einer langen, konfliktreichen Lebensreise, CD, hrsg. von Hans-Joachim Weimann und Brigitte Hauschild, Gießen 2004).“[3]
„Am 14. September 1942 wird die Familie von der Gestapo in die Goetheschule gebracht. Einige Tage später verlässt ein Güterzug die Stadt: Die 150 damals noch in Gießen lebenden Juden werden über Darmstadt nach Treblinka gebracht.
Schriftsteller Georg Edward soll in seinen Tagebücher festhalten: »Es wurde mir gesagt, die armen Menschen würden nach Polen geschafft, die jüngeren von ihren Eltern getrennt und diese sobald wie möglich umgebracht.
Tausende und Abertausende von Juden sollen von den SS-Männern bereits ermordet worden sein, aber man verlangt, das deutsche Volk solle die blutrünstige Bestie anbeten, die Deutschland dem Verderben entgegenführt.«“ [4]
Aber nicht nur in den Konzentrationslagern wüteten die Nazis auf brutalste Art und Weise, auch im Keller des Gestapo-Hauses fanden brutalste Verhöre statt, die manchmal zum Selbstmord führten „(…) wobei nicht auszuschließen ist, ob die Verhörenden nachgeholfen hatten.“ [5]
Ganz rechts im Bild ist das Bankhaus Herz in den 1930iger Jahren zu sehen. Foto: Stadtarchiv Gießen © Stadtarchiv Gießen [6]

Wir stehen jetzt vor der Goetheschule in Gießen.

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Im Zeitraum vom 12.-17.9.1942 wurden im Gebäude der Goetheschule „330 Juden, darunter die letzten 150 aus Gießen sowie andere aus der Umgebung, festgehalten.“ [8]

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Der Gießener Schriftsteller berichtete darüber wie die Bewohner*innen der sog. Judenhäuser (insgesamt gab es in Gießen ca. 8 oder 9, drei davon wurden im 2. Weltkrieg zerstört) [10] aggressiv und brutal in die Sammelstelle verbracht wurden. Sammelstelle für die Deportation war die Goetheschule.

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In Ergänzung dazu ein Abschnitt aus dem Bericht des Gießeners Ludwig Stern:
„Beim Verladen im Gießener Bahnhof bekamen die Juden bereits einen kleinen Vorgeschmack von dem, was sie zu erwarten hatten. Es hagelte nur so von Schimpfwörtern und Schlägen auf Männer, Frauen und Kinder. Ein Eisenbahnwagen wurde verschlossen, die Fenster durften nicht geöffnet werden.“ Vom Bahnhof fuhr der Zug mit den Verschleppten Richtung Darmstadt.“ [12]
Der Gießener Schriftsteller Georg Edward hatte gehofft, „Der alte hebräische Gott ist der Gott der Rache und die Rache wird furchtbar sein, kommen wird sie gewiß.“ [13]
Quellenangaben:
[2] a.a.O.
[3] a.a.O.
[4] https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/keller-wurde-gefoltert-12068565.html
[5] https://www.giessener-anzeiger.de/stadt-giessen/brutalste-verhoere-auch-in-giessen-92577149.html
[6] https://www.giessener-anzeiger.de/stadt-giessen/brutalste-verhoere-auch-in-giessen-92577149.html
[7] https://www.goetheschule-giessen.de/ueber-uns/
[9] https://www.goetheschule-giessen.de/ueber-uns/einblick-in-die-schulgeschichte/
[11] https://www.schlagetter-p.de/f_28-chronique-scandaleuse/ansicht_detail/detail_318.html